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Die Bilder entstanden im September 2020.
The pictures were taken in September 2020.
San Nicolò di Lido
So alt wie die Republik Venedig selbst, d.h. die Ursprünge von Kirche und Kloster reichen in die Zeit vor der Wende zum letzten Jahrtausend zurück. Das rechts des Bildrandes gelegene Kloster (mit elegantem Kreuzgang) ist riesig und entstand in heutiger Form im 16. Jh. Der Neubau von Kirche und Glockenturm erfolgte 1626-29 durch Francesco Contin und Matteo Cirtoni. Thermenstil wie an der gleichzeitigen Kathedrale von Chioggia (s. die vorige Folge dieses Blogs), die Fassade fehlt auch hier bis heute. Eindrucksvoller Innenraum, leider war aber die Kirche so wenig zugänglich wie das Kloster.
Wenig bekannter Weise ruht hier — in einem mächtigen barocken Sarkophag auf dem Hochaltar — der heilige Nikolaus, im 4. Jh. Bischof von Myra an der Küste Lykiens (Demre in der heutigen Türkei). Ja ist der nicht in Bari, wird einwenden, wer sich mit Heiligen auskennt. Doch. Auch. Kaufleute aus Bari klauten die Knochen 1087 aus seiner Kirche in Myra. Wenige Jahre später kamen andere aus Venedig und fanden auch noch Knochen zum Klauen, die sind jetzt hier. Untersuchungen 1953 und 1992 scheinen zu dem Ergebnis gekommen zu sein, daß es sich tatsächlich um Gebeine derselben Person handelt, wobei die größeren in Bari sind und die kleineren hier. Es wurde vermutet, daß die Leute aus Bari in Eile waren, und die kleinen Knochen liegen ließen. Das hat sich insofern ausgezahlt, als die Basilika des Heiligen in Bari Ziel zahlloser Pilger namentlich aus orthodoxen Ländern, voran Rußland, ist (der hl. Nikolaus spielt bei den Orthodoxen eine ganz besondere Rolle), und die Kirche auf Lido kaum.
As old as the Republic of Venice itself — in other words, the origins of the church and the attached monastery belong in the period preceding the turn of the last millennium. The monastery, situated beyond the right-hand edge of the image, is huge and has an elegant cloister. Its present version dates from the 16C. The church and its belltower were rebuilt between 1626 and 1629 by Francesco Contin und Matteo Cirtoni. Its thermae style is similar to that of Chioggia cathedral, built at the same time and featured in the previous episode of this blog. Once again we are still waiting for the façade. Impressive interior, unfortunately neither the church nor the monastery were accessible.
Unknown to many a huge Baroque sarcophagus on the high altar of this church shelters St Nicholas, bishop, in the fourth century, of Myra on the Lycian coast (Demre in present-day Turkey). But, isn’t he in Bari, you will object, knowing as you do a thing or two about saints. Indeed he is — also. Merchants from Bari snatched his bones from his church at Myra in 1087. A few years later others came from Venice and found more bones to collect. Those are here now. Analyses made in 1953 and 1992 have apparently shown the bones to belong to the same person, with the larger ones in Bari and the smaller ones here. It has been surmised that the people from Bari were in a hurry and left the little bones. Their reward has been that the basilica of the saint in Bari sees countless pilgrims not least from orthodox countries, Russia in particular (St Nicholas being very important to orthodox christianity), while no one comes here.
Unweit des Klosters ein jüdischer Friedhof.
Near the monastery, a Jewish cemetery.
Die Seeseite der Insel ist ein riesiger Strand. Hier am nördlichen Ende wird er nicht gepflegt oder gewartet, es liegen Treibholz und Seetang herum. Man hat viel Platz. Blick Richtung Süden (und damit Richtung Stadt).
The seaward side of the island is one huge beach. Here at the northern end it isn’t cleaned or looked after, with plenty of driftwood and kelp lying around. Lots of space. Looking south (and, thus, in the direction of the town).
Am Nordende der Insel säumt eine endlose Mole die Durchfahrt zur Lagune. Der neue Wellenbrecher dahinter (in Fahrtrichtung gesehen), der auf dem Bild unten auf ganzer Länge Meer und Himmel trennt, ist auf der Karte von Google Maps noch gar nicht verzeichnet.
At the northern tip of the island an endless jetty flanks the passage into the lagoon. The new breakwater behind (in the direction in which we are headed), which separates the sky and the sea all the way across the image below, wasn’t even there yet when Google Maps charted the area.
Blick Richtung Süden auf die Seeseite der Insel Lido.
Looking south along the seaward side of the island of Lido.
„Der Leuchtturm ist der Weg. Das Paradies kann warten.“ Aha?
„The lighthouse is the way. Paradise can wait.“
In der Ferne der Campanile von San Marco.
The campanile of San Marco is in the distance.
Rechts die Halbinsel Punta Sabbioni. Die festungsartigen Aufbauten gehören zu MO.S.E. (Modulo Sperimentale Elettromeccanico), nach jahrzehntelangen Bauarbeiten soeben fertiggestellt. Droht Hochwasser, können die Durchfahrten zur Lagune durch hochfahrbare Wehre gesperrt und die Flut draußen gehalten werden.
On the right the Punta Sabbioni peninsula. The fortress-like structures are part of MO.S.E. (Modulo Sperimentale Elettromeccanico), decades in the making and, recently, at last completed. If a flood threatens, the passages into the lagoon can be blocked by means of barriers raised from the sea floor, keeping the tide out.
Zurück in der Stadt (d.h. dem Hauptort der Insel Lido). Das Grand Hotel des Bains war eine von zwei Luxusherbergen der Insel, 1900 eröffnet. 1911 logierte hier Thomas Mann, und das Hotel ist ein Hauptschauplatz der zuerst 1912 gedruckten Novelle Der Tod in Venedig. Seit 2010 ist das Hotel geschlossen. Es soll mindestens teilweise zu Wohnungen umgebaut werden, aber davon ist noch nichts zu sehen.
Back in town (i.e. the central settlement on the island of Lido). The Grand Hotel des Bains, opened in 1900, was one of two luxury hotels in the island. In 1911 Thomas Mann stayed here, and much of the novella Death in Venice, first printed in 1912, takes place at the hotel. It has been closed since 2010 and is to be partly converted into flats, but work does not seem to have started yet.
Er betrat das weitläufige Hotel von hinten, von der Gartenterrasse aus und begab sich durch die große Halle und die Vorhalle ins Office. Da er angemeldet war, wurde er mit
dienstfertigem Einverständnis empfangen. Ein Manager, ein kleiner, leiser, schmeichelnd höflicher Mann mit schwarzem Schnurrbart und in französisch geschnittenem Gehrock, begleitete ihn im Lift zum zweiten Stockwerk hinauf und wies ihm sein Zimmer an, einen angenehmen, in Kirschholz möblierten Raum, den man mit starkduftenden Blumen geschmückt hatte und dessen hohe Fenster die Aussicht aufs offene Meer gewährten. Er trat an eines davon, nachdem der Angestellte sich zurückgezogen, und während man hinter ihm sein Gepäck hereinschaffte und im Zimmer unterbrachte, blickte er hinaus auf den
nachmittäglich menschenarmen Strand und die unbesonnte See, die Flutzeit hatte und niedrige, gestreckte Wellen in ruhigem Gleichtakt gegen das Ufer sandte.
He entered the hotel from the garden terrace at the back and passed through the vestibule and hall into the office. His arrival was expected, and he was served with courtesy and dispatch. The manager, a small, soft, dapper man with a black moustache and a caressing way with him, wearing a French frock-coat, himself took him up in the lift and showed him his room. It was a pleasant chamber, furnished in cherry-wood, with lofty windows looking out to sea. It was decorated with strong-scented flowers. Aschenbach, as soon as he was alone, and while they brought in his trunk and bags and disposed them in the room, went up to one of the windows and stood looking out upon the beach in the afternoon emptiness, and at the sunless sea, now full and sending long, low waves with rhythmic beat upon the sand. (Tr. H.T. Lower-Porter 1928)
So aber ging er denn, ging unter den Aufmerksamkeiten des Personals durch die Halle, die große Terrasse hinab und gerade aus über den Brettersteg zum abgesperrten Strand der Hotelgäste. Er ließ sich von dem barfüßigen Alten, der sich in Leinwandhose, Matrosenbluse und Strohhut dort unten als Bademeister tätig zeigte, die gemietete Strandhütte zuweisen, ließ Tisch und Sessel hinaus auf die sandig bretterne Plattform stellen und machte sich’s bequem in dem Liegestuhl, den er weiter zum Meere hin in den wachsgelben Sand gezogen hatte.
But he went out on that, passing through the hall, beneath the watchful eye of the functionaries, down the steps and directly across the board walk to the section of the beach reserved for the guests of the hotel. The bathing-master, a barefoot old man in linen trousers and sailor blouse, with a straw hat, showed him the cabin that had been rented for him, and Aschenbach had him set up table and chair on the sandy platform before it. Then he dragged the reclining-chair through the pale yellow sand, closer to the sea, sat down, and composed himself.
Das Strandbild, dieser Anblick sorglos sinnlich genießender Kultur am Rande des Elementes, unterhielt und erfreute ihn wie nur je. Schon war die graue und flache See belebt von watenden Kindern, Schwimmern, bunten Gestalten, welche, die Arme unter dem Kopf verschränkt, auf den Sandbänken lagen. Andere ruderten in kleinen rot und blau gestrichenen Booten ohne Kiel und kenterten lachend. Vor der gedehnten Zeile der Capannen, auf deren Plattformen man wie auf kleinen Veranden saß, gab es spielende Bewegung und träg hingestreckte Ruhe, Besuche und Geplauder, sorgfältige Morgeneleganz neben der Nacktheit, die keck-behaglich die Freiheiten des Ortes
genoß. Vorn auf dem feuchten und festen Sande lustwandelten Einzelne in weißen Bademänteln, in weiten, starkfarbigen Hemdgewändern. Eine vielfältige Sandburg zur
Rechten, von Kindern hergestellt, war rings mit kleinen Flaggen in den Farben aller Länder besteckt. Verkäufer von Muscheln, Kuchen und Früchten breiteten kniend ihre Waren aus.He delighted, as always, in the scene on the beach, the sight of sophisticated society giving itself over to a simple life at the edge of the element. The shallow grey sea was already gay with children wading, with swimmers, with figures in bright colours lying on the sand-banks with arms behind their head. Some were rowing in little keelless boats painted red and blue, and laughing when they capsized. A long row of „capanne“ ran down the beach, with platforms, where people sat as on verandas, and there was social life, with bustle and with indolent repose; visits were paid, amid much chatter, punctilious morning toilettes hob-nobbed with comfortable and privileged dishabille. On the hard wet sand close to the sea figures in white bath-robes or loose wrappings in garish colours strolled up and down. A mammoth sand-hill had been built up on Aschenbach’s right, the work of children, who had stuck it full of tiny flags. Vendors of sea-shells, fruit, and cakes knelt beside their wares spread out on the sand.
Blick nach Süden zum Hotel Excelsior.
Looking south towards the Excelsior hotel.
Villa an der Strandpromenade
Er nahm seinen Tee auf der Terrasse der Seeseite, stieg dann hinab und verfolgte den Promenaden-Quai [d.h. die Strandpromenade] eine gute Strecke in der Richtung auf das Hotel Excelsior.
He took tea on the terrace facing the sea and afterwards went down and walked some distance along the shore promenade in the direction of Hôtel Excelsior.
Lido: Strandpromenade. Hauptsitz der Biennale (Internationale Filmfestspiele Venedig) ist seit deren fünfter Ausgabe 1937 der Palazzo del Cinema (links)(erstmals fand die Biennale 1932 auf der Terrasse des Hotel Excelsior statt). In den 1980er Jahren wollte man den Palazzo del Cinema als zu klein geworden abreißen und durch einen Neubau ersetzen; den entsprechenden Wettbewerb 1989 gewann Rafael Moneo. Aus Kostengründen verzichtete man dann aber auf das Projekt. Stattdessen dient seit 1999 auch das nebenan gelegene Casino als Spielort.
Lido: sea front. Since its fifth edition in 1937, the headquarters of the Biennale (Venice International Film Festival) is the Palazzo del Cinema (left)(the first Biennale was held in 1932 on the terrace of the Excelsior hotel). In the 1980s it was decided to demolish the Palazzo del Cinema, deemed too small, and replace it with something bigger. A competition was held in 1989 and won by Rafael Moneo. But then the project was abandoned as too costly. Instead the neighbouring casino has, since 1999, served as an additional venue.
Blick zum Hotel Excelsior, etwa vom selben Standort wie das vorige Bild aufgenommen.
A view of the Excelsior hotel, taken from approximately the same position as the previous image.
Das 1907 eröffnete Excelsior ist das andere große Luxushotel auf Lido. Im Unterschied zum Hotel des Bains ist es nach wie vor in Betrieb und beherbergt wie schon in der Vergangenheit oft die Film-Berühmtheiten der Biennale.
The Excelsior, opened in 1907, is the other great luxury hotel in Lido. Unlike the Hotel des Bains it is still in business and, as in the past, accommodates celebrities attending the biennale.
Mal sehen, ob das Etablissement die gegenwärtige, regel- und verbotswütige Krise übersteht. Viel los schien (wie überhaupt auf Lido) nicht zu sein, aber das mag natürlich täuschen. Es war ein Wochentags-Nachmittag.
It remains to be seen how well the place will cope with the present crisis with its endless rules and prohibitions. It seemed quite somnolent (as did the island as a whole), but that could of course be deceptive. It was a working day afternoon.
Das Excelsior verfügt über einen eigenen Bootsanleger, am Ende eines Kanals, der von der Lagune quer durch die Insel hier zur Seeseite führt.
The Excelsior has its own landing stage, at the end of a canal cut straight through the island to the lagoon.
In Tod in Venedig gelangt der Protagonist Gustav von Aschenbach zunächst mit einer Gondel vom Markusplatz zur Anlegestelle des Vaporetto auf Lido (wir kennen sie aus Folge 2 dieses Blogs) und läßt sich von dort ins Hotel des Bains fahren. Wenig später unternimmt er eine Art Fluchtversuch vor den morbiden Versuchungen der Stadt und namentlich des schönen Tadzio, kehrt aber am Bahnhof schon wieder um und ins Hotel zurück. Diesmal hier entlang. Wobei, „betoniert“? Es kann aber nur dieser Kanal gemeint sein:
In Death in Venice the main character, Gustav von Aschenbach, arrives (by gondola from St Mark’s) at the landing stage of the vaporetti in Lido (we know it from the second episode of this blog) and from there is driven to the Hotel des Bains. Later he tries to escape from the morbid temptations of the city and in particular the beautiful boy, Tadzio, yet only gets as far as the station before returning to the hotel. This time he passes here.
Die Wellen schlugen gegen die betonierten Wände des schmalen Kanals, der durch die Insel zum Hotel »Excelsior« gelegt ist. Ein automobiler Omnibus erwartete dort den Wiederkehrenden und führte ihn oberhalb des gekräuselten Meeres auf geradem Wege zum Bäder-Hotel. Der kleine schnurrbärtige Manager im geschweiften Gehrock kam zur Begrüßung die Freitreppe herab.
The waves struck against the tiled sides of the narrow canal [which cuts through the island to Hôtel Excelsior]. At Hôtel Excelsior the automobile omnibus awaited the returned traveller and bore him along by the crisping waves back to the Hôtel des Bains. The little mustachioed manager in the frock-coat came down the steps to greet him.
I have explained my choice of the translation by H.T. Lowe-Porter in the second episode of this blog while also voicing complaints about it: it is often quite imprecise and indeed tends to omit things. Here, Lowe-Porter negligently or cavalierly leaves out Mann’s specification of which canal he is talking about — the one in these photographs. I supplied the missing bit in brackets. In the German original Mann describes the walls of the canal as „made of concrete“ — which in the photographs they are not. Lowe-Porter, bizarrely, calls them „tiled“ — which is also wrong, and certainly not what Mann wrote.
Ein anderer Kanal. Blick auf die Rückseite des Palazzo del Casinò.
A different canal. We are looking at the back of the Palazzo del Casinò.
Der Blick auf das Casino ist von der Brücke bei dem Wort „Residenza“ aufgenommen. Unten folgen wir dem Kanal, über den die Brücke führt.
The view of the casino was taken from the bridge above the word „Residenza“. Below we are following the canal which that bridge crosses.
Zurück im Stadtzentrum von Lido, wo sich auch unsere Pension befand.
Back in the town centre of Lido, where our bed-and-breakfast was also.